Wer Mitte der 2020er Jahre noch einen persönlichen Blog eröffnet, muss seine eigene Gedankenwelt wirklich für ganz besonders interessant, allgemein relevant und ausgeklügelt halten – oder? Ich frage mich gerade, ob sich die aussterbende Gattung der Web-Blogger auch zu ihrer Blütezeit vor ihren ersten Posts einer Art der inneren Qualitätsprüfung unterworfen hat oder ob dies nur bei mir der Fall sein muss, der ein Hobby beginnt, das längst aus der Mode gekommen und vermutlich auch aus der Zeit gefallen ist. Und im selben Zuge frage ich mich auch, warum das schriftliche Teilen der eigenen Gedanken auf eigenen kleinen Webseiten überhaupt erst in die Unbedeutsamkeit abgerutscht ist.
Aber erstmal zurück zur Überlegung, was ich der Welt eigentlich mit meinen Beiträgen zu bieten haben könnte.
MUSS ich der Welt überhaupt etwas bieten, um zu schreiben? Vermutlich ist die Antwort auf die Frage, ob man gut genug schreibt, um zu veröffentlichen, dieselbe wie die, ob man hübsch und begabt genug ist, Bilder bei Instagram oder Videos bei TikTok zu teilen. Nur existiert eben keine Form des ernstgemeinten Schreibens auf vergleichbar vielbesuchten Plattformen, insbesondere seit dem (für fast jede vernünftige Person gültigen) Untergang von twitter. Sowohl die schriftlichen Fähigkeiten als auch das Vermögen, visuelle oder akustische Ästhetik zu erzeugen, sind Dinge, die man lernen kann. Oder man lässt es eben. Das Schöne (oder das Schreckliche) am Internet ist doch gerade, dass es einen nicht ausschließt – egal, wie hoch die objektive Qualität des Geschaffenen ist.
Ich erhoffe mir ehrlich gesagt , über die Ordnung meiner eigenen Gedanken (über das, was ich erlebe, beobachte, konsumiere und fühle) zu einem Konstrukt, das meiner Betrachtung nach sinnvoll und zusammenhängend genug ist, um veröffentlicht zu werden, eine klarere Sicht auf „die Dinge“ zu bekommen. Ich will übrigens auch schonmal prophylaktisch Entwarnung geben: Nicht jeder zukünftige Beitrag wird eine solche Endzeitstimmung beschwören wie dieser es noch vorhat.
So viel zur Rechtfertigung, nach der zwar niemand gefragt hat (und wahrscheinlich auch nie jemand wird), deren Voranstellung mir aber trotzdem nützlich erscheint – insbesondere für mich selbst.
Warum ist der Blog als Medium ausgestorben? Ich persönlich tippe mal auf eine allgemeine Verlagerung des individuellen Mitteilungsbedürfnisses auf temporäre und leicht zugängliche Aggregatszustände sowie die Verschiebung der Rolle des Individuums im digitalen Wirtschaftsraum. Den meisten Menschen reicht es heutzutage, die eigenen Interessen und Lebensphasen in 24-Stunden zugänglichen Bild- und Videoabschnitten zu teilen. Soll es dann doch mal intellektuell werden, muss die Kommentarsektion eines politisch-emotional aufgeladenen Kurzvideos herhalten. Das Teilen eigener Inhalte1 existiert heute kaum noch der Sache wegen. Es wirkt, als ließe sich diese Aktivität nur dann rechtfertigen, wenn man gleichzeitig auf eine Laufbahn als hybride Lebensform zwischen Mensch und laufender Werbetafel oder eine vergleichbare Karriere, deren Erfolg auf dem Licht der Öffentlichkeit basiert, abzielt. Es ist ja auch gerade dieses Versprechen, das so viele Leute dazu verleitet, Teil einer neuen Systemhegemonie der digitalen Versklavung zu werden. Aber dazu gleich mehr.
Während das Internet mal ein Raum war, in dem die Grenzen zwischen Individuen als Anbietende und Nachfragende stark verwaschen waren, ist man heute als Einzelner meistens nichts von beidem mehr. Es haben sich für Verbraucher insbesondere auf Social-Media-Plattformen, auf denen der Großteil des sozialen Austausches im Netz stattfindet, zwei neue Rollen im digitalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Raum entwickelt, auf die ich hier eingehen will.
Die Beobachtung, dass der Endverbraucher auf Social-Media-Plattformen selbst zum Produkt geworden ist, ist keine neue. Aber sind wir wirklich das Produkt? Betreiber bieten Firmenkunden Werbefläche zum Kauf und maximieren die Zeit, die Endverbraucher auf diese starren, mit süchtig machenden Unterhaltungsalgorithmen. Der Nutzer verkommt in dieser Konstellation eher zu einer Art Produktionsfaktor in der Fabrikhalle der Internetkonzerne. Was wir hier beobachten, ist also nicht die Produktisierung, sondern die Kapitalisierung der Bevölkerung, da sie unterbewusst und passiv zum Produktionsprozess der Social-Media-Plattformen beiträgt. Die ultimative Form der Unterdrückung, die ultimative Form der Instrumentalisierung – indem kein politisches System die Macht über uns hat, sondern das Dasein als ewiges Produktionsgut, das 24/7 einsatzbereit ist, ja sich sogar von der Produktion zurückhalten muss, da es in Befriedigung bezahlt wird. Und das Kapital macht selbstverständlich im besten Fall nichts, das über das weitere Speisen des Unterhaltungskreislaufs hinausgeht. Wer den Sprung zum Influencer schafft, wird für seinen Beitrag zu diesem Prozess belohnt und steigt damit zu einer Art Systemfreund auf, der zwar zeitgleich auch noch unter den gegebenen Umständen leben muss, aber aktiv zu deren Erhalt und Prosperität beiträgt und davon materiell und monetär profitiert. Ein digitaler Parteifunktionär, wenn man so will. In dieser Welt der Doppelrollen ist kein Platz mehr für Blogger – überhaupt für fast nichts mehr Platz, selbst im realen Leben.
Ich sehe in diesem Blog also auch einen inneren Aufstand, den Link zu ihm in meiner Insta-Bio und Story als Flugblatt, die Einladung zur Versammlung gegen die vorherrschenden Umstände und gegen ein Regime, das nicht gut oder böse ist, das man nicht sieht und nicht benennen kann.
- Ich werte das Hochladen von Bildstrecken aus dem Alltag übrigens nur bedingt als mit Kunst, Musik, Geschriebenem oder ernstgemeinter Fotografie vergleichbarem Inhalt, habe mir zu der genauen Abgrenzung aber noch nicht genug Gedanken gemacht, um sie zufriedenstellend zu besprechen. ↩︎
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